Prokrastination
von Hanna Gabrusiewicz
Dieser Artikel über Prokrastination hätte längst fertig sein sollen. Stattdessen habe ich drei Tassen Kaffee getrunken, unzählige Mails „nur kurz“ beantwortet und das Schreiben immer weiter verschoben. Ironischerweise ist genau das der perfekte Einstieg ins Thema denn kaum etwas beschreibt Prokrastination besser: das bewusste Aufschieben von Aufgaben, obwohl man genau weiß, dass es einem später zum Verhängnis wird. Statt sich an die Arbeit zu setzen, räumt man plötzlich den Schreibtisch auf, gießt die Pflanzen oder überprüft zum zehnten Mal den Wetterbericht. Psycholog*innen verstehen darunter kein bloßes Zeitmanagementproblem, sondern ein Verhalten, das tief mit Motivation, Selbstkontrolle und oft auch mit Angst vor dem eigenen Anspruch zusammenhängt.
Die aktuellen Ergebnisse einer Studie über Prokrastionation liefern eindrückliche Hinweise darauf, dass es besonders unter jungen Menschen verbreitet ist, insbesondere unter Schüler*innen und Studierenden. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Aufschiebeverhalten häufig mit Stress, Depression, Angst, Einsamkeit und Erschöpfung einhergeht und langfristig die Lebenszufriedenheit mindert.
Studierende bewegen sich in einem Spannungsfeld, das Aufschiebeverhalten begünstigt. Im Vergleich zu einer festen Erwerbstätigkeit fehlen oft strukturierende Rahmenbedingungen wie geregelte Arbeitszeiten oder klare Zielvorgaben. In der Studie führen die Autor*innen genau dies als ein zentrales Risiko auf: Fehlende äußere Struktur verlangt mehr Selbstorganisation und diese überfordert viele junge Menschen.
Hinzu kommt: Studierende tappen leicht in die Falle, Zeit als „noch reichlich vorhanden“ zu betrachten. In dieser Phase erscheinen die Konsequenzen von Verzögerungen oft abstrakter und ferner, gerade dann, wenn Prüfungen erst in Wochen oder Monaten anstehen. In Kombination mit hohen Leistungsansprüchen, Angst vor Versagen und den Versuchungen moderner Ablenkung so wie Smartphone, Internet, Streamingdienste entsteht ein perfekter Nährboden für Prokrastination.
Mechanismen hinter dem Aufschieben:
1. Vermeidung unangenehmer Gefühle
Viele Aufgaben sind nicht auf Anhieb motivierend. Sie werden mit Anstrengung, Unlust oder Perfektionsdruck verbunden. Indem man sie aufschiebt, entkommt man kurzfristig genau diesem Unbehagen. Die Studie hebt hervor, dass Prokrastination oft ein erlerntes Verhalten ist, das unmittelbar durch Vermeidung negativer Gefühle verstärkt wird.
2. Positive kurzfristige Belohnung vs. langfristige Kosten
Während das Aufschieben kurzfristig Entlastung verschafft (etwa durch Ablenkung oder leichtere Ersatzhandlungen), manifestieren sich die negativen Folgen oft erst später: Stress, Überforderung, Schlafprobleme und im Studium: verpasste Fristen, schlechte Leistungen oder Studienverzögerungen.
3. Überforderung & unrealistische Erwartungen
Bei vielen Studierenden liegt das Problem nicht nur in Faulheit, sondern in einem zu hohen Anspruch: das Bedürfnis, perfekte Texte zu liefern, alles gleichzeitig machen zu wollen oder zu viele Aufgaben gleichzeitig zu jonglieren. Diese hohen Erwartungen erzeugen Druck – und der wiederum blockiert den Start.
4. Fehlende Kontrolle & Struktur
Im Studium ist man oft auf sich selbst gestellt. Niemand erinnert daran, eine Aufgabe zu beginnen, und oft fehlt es an klaren Meilensteinen oder externem Druck (wie in einem Job). Genau hier setzt das Entgleiten ein, und viele Studierende nutzen freie Zeit für kurzfristiges Vergnügen statt für produktive Arbeit.
Doch wer sich in diesem Kreislauf aus Aufschieben, Selbstvorwürfen und wachsendem Druck wiederfindet, ist damit nicht allein und vor allem: nicht machtlos. Denn so tief Prokrastination auch in unserem Verhalten verankert sein mag, es gibt Wege, ihr entgegenzuwirken. Verschiedene psychologische und verhaltensbezogene Ansätze zeigen, dass man das eigene Aufschiebeverhalten Schritt für Schritt verändern kann – angefangen bei kleinen Routinen bis hin zu bewusster Selbstorganisation.
1. Prioritäten setzen
2. Aufgaben konkret planen: Wann, wo und wie
3. Große Aufgaben in kleine Schritte teilen
4. Störungen konsequent ausschalten
5. Arbeitszeit bewusst begrenzen (,,Arbeitszeitreduktion’’) und starten ohne Verzögerung
6. Rituale und feste Strukturen nutzen
7. Eigene Leistungsphasen beachten
8. Belohnungen und externen Druck nutzen
Vielleicht ist Prokrastination letztlich weniger ein Zeichen von Schwäche als ein Spiegel unserer Zeit: Wir leben in einer Welt voller Möglichkeiten, Reize und Erwartungen und oft fällt es schwer, Prioritäten zu setzen. Besonders im Studium, wo Freiheit und Verantwortung eng nebeneinander liegen, zeigt sich, wie dünn der Grat zwischen Selbstbestimmung und Selbstüberforderung sein kann.
Ich habe diesen Artikel schlussendlich doch geschrieben - nicht, weil der Druck zu groß wurde, sondern weil mir klar wurde: Aufschieben ändert nichts, Anfangen alles. Und vielleicht ist genau das der erste Schritt, um Prokrastination ein Stück weit hinter sich zu lassen.
Wenn du weitere Informationen zu diesem Thema und zur Studienbewältigung brauchst, kannst du auf dieser Seite vorbeischauen.
https://www.studierendenberatung.at/studienbewaeltigung/studienbewaeltigung-im-ueberblick